Homestead Abend

GOTTES TRAUM


Ein berühmtes Sprichwort sagt, man könne das gesamte System des Advaita-Vedanta in einem halben Vers zusammenfassen: Brahma satyam jagan mithya, jiva-brahma iva-na param - die einzige Wirklichkeit ist Brahman. Die Welt ist letztlich illusorisch, und die individuelle Seele unterscheidet sich nicht von Brahman. Brahman und atma sind identisch. Die Welt ist eine Schöpfung der Täuschung (maya). Die verkörperte Seele glaubt sich aufgrund der ihr innewohnenden Unwissenheit(avidya) verschieden von Brahman und lebt folglich in einer Welt der Vielheit und betrachtet sich selbst als separate Wesenheit. In Wahrheit ist alles Brahman, nur die Illusion läßt Brahman als Nicht-Brahman erscheinen, so wie man aufgrund von Täuschung ein Seil für eine Schlange halten kann. Avidya verschwindet mit dem Erwachen des Wissens darum, weil die Vereinigung mit Brahman zur Befreiung führt.

Erst wenn ein bestimmter Bewußtseinszustand erlangt ist, wird die trügerische Natur der Welt, Maya, wahrgenommen. Shri Shankara maß dieser Erfahrung große Bedeutung zu, da sie einen tiefen Eindruck in ihm hinterließ. Maya ist das kosmische Spiel Gottes (lila). Laut Shri Aurobindo schließt das Wort Lila die Idee von Maya mit ein und geht noch darüber hinaus. Gott ist eins, aber dieses Einssein beschränkt Ihn nicht. Er erscheint als Vielfalt, weil es Sein Wille ist. Außerhalb aller Formen, entzieht Er sich jeder Definition und kann nicht als einer oder viele beschrieben werden. Dies ist die Lehre der Upanishaden: »Er ist begrenzt und unbegrenzt, Eines ohne ein Zweites, was auch immer wahrgenommen wird, ist Er. Die manifeste Welt ist ein Spiel Seines Bewußtseins in Seinem unendlichen Aspekt und als solches wahr. Alles ist Gott.«

Gott ist überall, und jede verkörperte Seele in ihrer scheinbar gesonderten Individualität ist Er. Gott ist das erste Sein, und mit para-prakriti vereint, wird Er symbolisch radha genannt. Während die Menschen Sklaven der prakriti oder Maya sind, ist Gott ihr Herr und kann sie in Sein Selbst zurückholen und aus Seinem Selbst entstehen lassen, wann immer es Ihm beliebt. Eine philosophische Schule sagt, Maya und Er seien identisch, während in einer anderen Schule beide verschieden sind und Maya entweder latent oder manifest ständig existiert. Nur durch Gotteserkenntnis verschwinden alle Zweifel. Brahman kann nicht in Worte gefaßt oder mit dem Verstand begriffen werden, da es jenseits aller Beschreibung liegt. Es kann einzig durch den Begriff sat-cit-ananda ausgedrückt werden. Sat-cit-ananda bedeutet Existenz, Bewußtsein und Glückseligkeit. Brahman ist beides, persönliches und unpersönliches Sein. Weil Gott der allem Sein innewohnende Führer ist, wird Er die Seele der Seelen (antaryami) genannt und ist folglich auch die Seele von prakriti. Selbst transzendental, transzendiert Er das Universum. Er ist der Schöpfer, Erhalter und Zerstörer dieses Universums, symbolisch dargestellt als Brahma, Vishnu und Shiva. Er ist Ursprung von allem und Ende von allem. Er ist Gegenstand der Verehrung und Inspiration zur Tugendhaftigkeit. Er ist, kurz gesagt, alles in allem.

Brahman oder atma ist die einzige Realität, das uneingeschränkte Absolute. Es gibt keine Dualität, keine Unterschiedlichkeit. Auch Zweifel am Selbst ruhen im Selbst, da alle Mittel zum Erlangen der Erkenntnis in Ihm selbst gründen. Für den Wissenden gibt es keine Veränderung. Ewiges Leben ist seine Natur. Wer Brahman kennt, wird selbst Brahman. Für den begrenzten Intellekt dagegen ist Brahman nicht erkennbar. Nur durch Beseitigen von avidya kann das Nicht-Getrenntsein von Brahman wahrgenommen werden.

Das unsichtbare Selbst ist die im Innersten des Menschen anwesende Göttlichkeit, die ihn führt, nährt und bewahrt. Hindus beten dieses unsichtbare Selbst in Form von mehreren Gottheiten wie Shiva, Kali, Durga, Krishna, Ganesh und Surya an. Dies ist keine Götzenverehrung, sondern vielmehr Verehrung des Selbst in Form von Bildern. Da Gott allumfassend ist, muß man den Bildern nicht erst Göttlichkeit eingeben, da das Göttliche bereits anwesend ist. Ego und Selbst des Menschen erscheinen zwar als Gegensätze, die Grundlage der Existenz des Egos ist jedoch das Selbst. Ohne das Selbst existiert nichts.


© Mit freundlicher Genehmigung:
Paramahamsa Hariharananda


Wir sind nur gekommen ein Traumbild zu sehen.
Wir sind nur gekommen zu träumen.
Nicht wirklich, nicht wirklich sind wir gekommen,
auf der Erde zu leben.

Tochihuitzin Coyolchiuhqui (Toltekischer Dichter um 1400)

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